Allgemeiner Deutscher Fahrrad-Club Kreisverband Märkischer Kreis e. V.

ADFC Iserlohn fragt: Fahrradbranche im Krisenmodus?

Nach erfolgreichen Jahren mit hohen Verkaufszahlen schwächelte die Fahrradbranche scheinbar. Sind das bereits Anzeichen einer langfristigen Krise? Oder ist die Situation der Branche doch nicht so schlecht? Der pd-f hat bei Insidern nachgefragt.

Rund um die Fahrradleitmesse Eurobike im Juli in Frankfurt waren Vertreter aus der Fahrradindustrie noch positiv gestimmt, dass die Fahrradverkäufe im Laufe des Jahres 2024 wieder anziehen. Im Herbst ist die Lage doch nicht so eingetreten, wie erhofft. Die Kaufzurückhaltung geht auch weiterhin an der Fahrradbranche nicht spurlos vorbei. Hohe Lagerbestände und damit verbundene Bestellrückgänge des Handels brachten den Fahrradherstellern teilweise Absatzrückgänge von mehr als 30 Prozent und entsprechende Gewinneinbußen. Erste Firmen meldeten Insolvenz an oder sind auf Kapitalgeber angewiesen, um die schwierigen Jahre zu überbrücken.

„Wir haben gute Produkte und sind die Zukunft der Mobilität.“
Anke Schäffner
Leiterin Politik & Interessenvertretung ZIV

Grundlegender Optimismus für nächsten Jahre
Dennoch kann die Fahrradbranche optimistisch in die Zukunft blicken. Das sehen auch die Autoren des Reports „Die europäische Fahrradindustrie im Krisenmodus“, der in Zusammenarbeit der Unternehmensberatung Roland Berger IMPEX und des Fachredaktionsbüros pressedienst-fahrrad erstellt wurde. „Der Wille zur Verkehrswende und der Weg zu CO2-freier Mobilität spielt der Fahrradbranche langfristig in die Karten. Radfahren ist ein Megatrend, der in den kommenden Jahren weiterwachsen wird. Die aktuelle Marktkorrektur ist deshalb nur ein vorübergehendes Phänomen. Wir sprechen von Witterung und nicht von Klima“, sagt Gunnar Fehlau, Geschäftsführer des pressedienst-fahrrad und Mitautor des Reports. „In den Gesprächen mit Verantwortlichen aus der Industrie und den Verbänden, die wir für den Report geführt haben, spürten wir einen grundlegenden Optimismus. Allerdings wird eine Normalisierung des Marktes erst für 2026 erwartet – und dass deutlich unter den Boomjahren 2021 und 2022“, ergänzt Mitautor Mathias Heller, Director bei Roland Berger IMPEX, der wie Fehlau auf eine langjährige Erfahrung in Fahrradbereich zurückblicken kann. Diese Entwicklungen decken sich mit den Einschätzungen des Zweirad-Industrie-Verbandes (ZIV), wie Anke Schäffner, Leiterin Politik und Interessenverbände, bestätigt: „Es ist eine schwierige Lage und wir gehen davon aus, dass es auch nächstes Jahr schwierig wird. Aber Fahrrad ist ein Zukunftsthema und wir sehen einen positiven Trend, den wir in die Welt schicken. Wir haben gute Produkte und sind die Zukunft der Mobilität.“

„Wir alle in der Branche haben jetzt schmerzhaft lernen müssen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen.“
Andreas Kessler
CEO von Flyer

Branche zeigt sich selbstkritisch
Die beiden Experten Heller und Fehlau sprechen in ihrem Report verschiedene Handlungsempfehlungen aus, wie die Fahrradbranche durch die aktuelle Krisensituation geleitet werden kann. Wichtig sei vor allem, die hohen Lagerbestände zu reduzieren und Kosten zu sparen. Auch müssten jetzt die Weichen für die Zukunft gestellt werden, was eine Optimierung der Lieferketten und Prozesse mit sich führe. Die Übersicht findet deshalb auch guten Anklang in der Fahrradbranche. „Der Report zeigt die aktuell sehr anspruchsvolle Situation in der Fahrradbranche, macht aber auch deutlich, dass es einen Weg aus der Krise gibt. Wir alle in der Branche haben jetzt schmerzhaft lernen müssen, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen“, fasst Andreas Kessler, CEO des Premium-E-Bike-Herstellers Flyer, die Situation zusammen. „Wer den Report genau liest, findet darin bemerkenswert selbstkritische Töne. Das ist stark – und zeugt von einem großen Selbstbewusstsein auch in schwierigen Zeiten. Dies zumal, da im deutlichen Unterschied zu anderen Akteuren im Mobilitätssektor keine Rufe nach staatlichen Hilfen laut werden“, erkennt Alexander Kraft, Pressesprecher beim Liegeradhersteller HP Velotechnik.

Digitalisierung bietet noch viel Potenzial
„Der Report spiegelt unsere täglichen Erfahrungen sehr gut wider. Gerade bei der Neuheitenpolitik sollte der Fokus mehr auf digitalen Innovationen liegen“, ergänzt Jürgen Veith, CEO von IoT Venture, einem Unternehmen für digitale Lösungen wie GPS-Ortungschips und Datenanalyse. Er spricht dabei noch ein weiteres Problemfeld der Fahrradbranche an: Das Potenzial von digitalen Schnittstellen und Prozessen wird noch nicht genutzt, was eine Verbesserung der Lieferketten, Produktion und daraus resultierend des Produkts und des Services für Endverbraucher:innen zur Folge hätte. Bei E-Bikes gibt es noch viele Reserven, mittel- bis langfristig digitale Innovationen einzusetzen und so für neue Kaufanreize zu sorgen.

„Einerseits herrschen Kostendruck und Margentransparenz, andererseits braucht es Markenbildung, um unterscheidbar zu bleiben und Preise durchsetzen zu können“
Gunnar Fehlau, Geschäftführer pressedienst-fahrrad

Markenbildung und Online-Shops für mehr Erfolg?
Für den Erfolg eines Fahrradherstellers wird es in Zukunft jedoch auch wichtig sein, mehr in Marketing und Kommunikation zu investieren, um sich als Marke zu positionieren. Bislang findet eine Markenbildung bei Fahrradherstellern noch zu wenig statt. Die Komponentenhersteller wie Bosch, Schwalbe, Continental oder Shimano sind bei den Kaufinteressierten meist bekannter als die eigentlichen Fahrradhersteller. „Die Fahrradhersteller sitzen in der Zwickmühle: Einerseits herrschen Kostendruck und Margentransparenz, andererseits braucht es Markenbildung, um unterscheidbar zu bleiben und Preise durchsetzen zu können“, erläutert Fehlau. Für Flyer-CEO Kessler ist der Kurs klar: Attraktive Produkte schaffen und dabei auf „Swissness, Premium und Qualität setzen.“ Ein anderer Weg wird sein, mehr auf Direktvertrieb zu gehen. „Etwa ein Viertel der von uns befragten Unternehmen plant einen eigenen Direktvertrieb aufzubauen oder vermarktet aufgrund der aktuellen Überbestandssituation bereits einen Direktverkauf. Der Fachhandel bleibt allerdings aufgrund der Beratungskompetenz und -tiefe der Hauptverkaufskanal“, erklärt Heller.

Leasing emotionalisiert den Fahrradmarkt
E-Bikes werden in Zukunft die Umsätze der Branche in Europa weiter ankurbeln, während die Absatzzahlen hingegen stagnieren werden, so die Branchenkenner. Steuerliche Vergünstigungen, Leasing und die Bereitstellung von E-Bikes als Incentive für Mitarbeitende sind Faktor, die das Interesse am Fahrrad bzw. E-Bike weiter wecken. Speziell der Leasing-Markt hat sich in den letzten Jahren als der Umsatztreiber der Branche entwickelt. Mittlerweile werden rund ein Drittel der in Deutschland verkauften Räder geleast, meist mit einem Paket mit Werkstattleitungen und Versicherung. „Leasing schafft eine emotionale Verbindung zwischen Angestellten und Arbeitgebern. Das kommt gut an“, erklärt Elena Laidler-Zettelmeyer, Leiterin strategische Kooperation beim Brancheverband Zukunft Fahrrad.

„Das geht so lange gut, solange alle davon leben können.“
Uwe Wöll
Geschäftsführer VSF
 

Innovationen stehen bereit
Um die Kauflust zu befeuern, warten für die kommende Fahrradsaison auch schon interessante Innovationen wie neue Motoren, Sicherheits-Features wie Blinker und leichtere E-Bike-Modelle für die Stadt. Um die teilweise hohen Lagerbestände zu leeren, verkaufen Händler zudem mit Rabatten, was wiederum vorteilhaft für Kaufinteressierte ist. Doch was gut für Endverbraucher ist, bringt Probleme für die betroffenen Händler. „Der Handel verzichtet auf Marge. Das geht so lange gut, solange alle davon leben können. Wenn der Handel aber weg bricht, fehlt der Service“, warnt Uwe Wöll, Geschäftsführer des Handelsverbandes VSF. Er blickt allerdings wie viele weitere Branchenvertreter:innen positiv nach vorne, denn die Zeichen für das Fahrrad stünden weiterhin gut.


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